Lichen-Serie, Teil 2 / Lichen planus der Vulva – Prof. Dr. Werner Mendling
Der historische aus dem Griechischen stammende Begriff „Lichen“ bedeutet „Flechte“. Im Alltagsjargon wird oft unscharf von „Lichen“ gesprochen, ohne dass zwischen Lichen (L.) sclerosus, L. planus und L. simplex unterschieden wird. Mit drei Beiträgen zum Thema Lichen werden diese für die einzelne Patientin quälenden und langfristig die Lebensqualität beeinträchtigenden Erkrankungen v orgestellt: in FRAUENARZT 12/2023 der Lichen sclerosus, in diesem Heft der Lichen planus, in der Februar-Ausgabe der Lichen simplex.
Lichen planus (frühere Bezeichnungen auch Lichen ruber oder Lichen ruber planus) ist eine inflammatorische, T-Zellvermittelte Erkrankung unbekannter Ursache der Haut und/oder Schleimhaut und kann auch Haare und Nägel betreffen. Erkrankungen der Schleimhaut bzw. der vulvovaginalen Region sind meist chronisch. Eine Spontanremission ist aber möglich. Sie kommt oft bei Lichen planus der Haut und selten im Genitalbereich vor. Frauen mit genitalem Lichen planus können vermehrt unter Depression, Angststörung und sonstigem psychosozialem Stress leiden.
Die Erkrankung tritt in vielfältigen Erscheinungen auf (14) und birgt ein erhebliches Risiko für ein Vulvakarzinom.
Häufigkeit
Die exakte Häufigkeit des vulvovaginalen Lichen planus ist unbekannt. Meist tritt er um das 50.–60. Lebensjahr auf. Es sind vermutlich 0,2–1 % der Erwachsenen betroffen. Frauen erkranken etwas häufiger daran als Männer. Vulvo vaginaler Lichen planus ist bei Kindern sehr selten.
Typisch und häufig ist die Koinzidenz mit anderen Autoimmunerkrankungen, z. B. Hashimoto-Thyreoiditis, Autoimmungastritis, perniziöse Anämie, Alopecia areata u. a. Es gibt auch Hinweise für eine Assoziation mit der Einnahme von Betablockern sowie nicht-steroidalen antiinflammatorischen Medikamenten. Auch Traumen der Haut können ein Trigger sein (Köbner-Phänomen) (25, 15, 16).
Symptome
Frauen mit genitalem L. planus klagen oft über Wundheitsgefühl und Schmerz im Vestibulum. Geschlechtsverkehr brennt oder ist gar nicht möglich, da im Gegensatz zum L. sclerosus das hintere Vestibulum und auch die Vagina betroffen sein können. Ansonsten sind die subjektiven Symptome denen bei L. scle rosus ähnlich. Immer sollte auch nach Beschwerden im Mundraum gefragt werden. Die meisten Patientinnen klagen über Schmerzen/Brennen mit und ohne Berührung, Geschlechtsverkehr ist meist unzumutbar, bei L. planus erosivus der Vagina kann auch gelber dünner, lästiger Fluor auftreten.
Klinische Zeichen
Bei Verdacht auf L. planus muss eine sorgfältige Anamnese und eine Untersuchung des gesamten Körpers, besonders der Prädilektionsstellen (Tab. 1) erfolgen. Lichen planus tritt in sehr unterschiedlicher Symptomatik und nicht nur im Vulvovaginalbereich auf (Tab. 1 und 2). Er kann besonders im fortgeschrittenen, „ausgebrannten“ Stadium klinisch schwer vom fortgeschrittenen Lichen sclerosus unterschieden werden, sofern er nur an der Vulva vorkommt. Etwa in 90 % der Fälle liegen Erosionen und Inflammationszeichen im Introitus/Vestibulum vor, in 20–38 % ist die Vagina betroffen, die Vulva in 37 %, die Perianalregion in 8 % der Fälle. Die Hälfte der Patientinnen hat Läsionen im Mund, die in einem Drittel denen der Vulva vorausgehen (15).
Schrumpfungen finden wie beim L. sclerosus statt und können, müssen aber nicht auch an der Klitorisvorhaut auftreten (Abb. 1). Die erkrankte Haut der Vulva ist auf ihrer Oberfläche eher unregelmäßig („pflastersteinartig“) strukturiert (Abb. 2), während sie beim L. sclerosus porzellanartig glatt ist. Dieser Unterschied fällt oft erst bei der Betrachtung mit dem Vulvoskop auf. Haarfollikel an den großen Labien oder in Dammnähe können etwas prominent sein (Abb. 3).
Das Vestibulum und die Scheide sind stark gerötet, oft glänzend. Der laterale Rand der Läsionen ist meist relativ scharf von einem schmalen weißen Saum abgegrenzt (Abb. 4 und 5). Am Rand finden sich (Sulcus interlabialis, laterale Region zu beiden Seiten des Vestibulums) oft netzartige feine Streifen (Wickham’sche Striae nach LouisFréderic Wickham 1895) – ein typisches diag nostisches Kriterium, das durch Reflektierung bei papulöser Verbreiterung im Stratum granulosum entsteht (Abb. 6 und 7).
Bei Befall der Vagina (eventuell inklusive Portiooberfläche) ist die Vaginalwand blass- bis hochrot (Abb. 8). Der Fluor ist meist dünn, gelblich, er kann auch spärlich sein, der vaginale pH ist stark erhöht um 5,5–7.
Im Nativpräparat (400-fach, Phasenkontrast) fehlen Laktobazillen auch trotz guter Östrogenwirkung, man sieht zahlreiche toxische Leukozyten und Parabasalzellen als Folge der Inflammation sowie eine spärliche dysbiotische Mischflora (Abb. 9 auf Seite 31). Die Gabe von Laktobazillen oder Estriol verbessert das Bild nicht. Oft haben die Frauen eine Odyssee mit Therapieversuchen gegen Pilze oder Bakterien hinter sich.
Diagnostik
Die Diagnose erfolgt primär klinisch durch eine sorgfältige Anamnese, die Vulvoskopie, die Spekulumeinstellung von Vagina und Portio mit Kolposkopie sowie Nativpräparat und pH-Wert. Da die Spekulumeinstellung sehr schmerzhaft sein kann, muss entsprechend rücksichtsvoll vorgegangen werden. Gegebenenfalls wird auf eine digital-bimanuelle und vaginalsonografische Untersuchung verzichtet. Das innere Genitale kann sonografisch auch transabdominal oder rektalsonografisch beurteilt werden. Die Benutzung des Kolposkops zur Vulvoskopie ist zwar nicht evidenzbasiert, jedoch keinesfalls von Nachteil. Der Essigsäure-Test, der bei HPV-assoziierten Läsionen vorteilhaft ist, verursacht hier wegen der Erosionen Schmerzen, ist ohne diagnostischen Vorteil und wird nicht empfohlen (2). Ein gleichzeitiges Vorliegen von typischen Zeichen im Mundraum ist im Zweifel wegweisend (Abb. 10 und 11). Typisch sind an den Beugeseiten von Handgelenken und glänzende, juckende Papeln und Plaques („Knötchenflechte“, Abb. 12 und 13), besonders an kleinen Hautläsionen (Köbner-Phänomen), die konfluieren, hyperpigmentieren und hyperkeratotisch werden können.
Im Zweifel wird eine Stanzbiopsie durchgeführt (s. Kasten auf Seite 32). Dabei soll an einer Randzone unter Mitnahme eines Teils der gesunden Haut und nicht mitten im erosiven Gewebe biopsiert werden, da sekundär entzündliche Veränderungen die histologische Diagnose erschweren oder unmöglich machen. Gewebeproben inmitten eines erosiven L. planus können enttäuschend unspezifisch ausfallen. Außerdem soll mindestens 3 Wochen nicht mit Kortikoiden vorbehandelt sein. Der histologische Anforderungsschein soll mit allen wichtigen Informationen ausgefüllt werden!
Eine Fotodokumentation (mit Einverständnis der Patientin) sollte erfolgen. Das Foto soll der Frau selbst auch zu gestellt werden, damit sie im Lauf der Jahre auf Augenhöhe Veränderungen verfolgen kann. In der eigenen Sprechstunde werden die Befunde der Patientin immer mithilfe eines Handspiegels erklärt. Nicht selten sieht eine Frau dann zum ersten Mal ihre Vulva!
Entsprechend den klinischen Erscheinungsformen kann auch pathohistologisch z. B. vulväre Hyperkeratose oder vaginale Pseudoerosion beschrieben werden, doch sind eine bandförmige lymphozytäre Inflammation nahe der Basalmembran und Hypergranulose mit Bildung einer Interphasen-Dermatitis typisch (5, 14, 15).