Lichen-Serie, Teil 3 / Lichen simplex chronicus der Vulva – Prof. Dr. Werner Mendling

In den FRAUENARZT-Ausgaben 12/2023 und 1/2024 wurden die beiden Erkrankungen Lichen sclerosus und Lichen planus der Vulva ausführlich beschrieben. Der letzte Teil dieser Serie stellt die dritte Erkrankung vor, die mit der historisch überlieferten Bezeichnung „Lichen“ (übersetzt „Flechte“) beginnt – den Lichen simplex chronicus

Lichen (L.) simplex chronicus ist im Gegensatz zu L. sclerosus und L. planus eine ekzematoide Erkrankung. Ekzeme der Vulva und Perianalregion können in ihren Symptomen sehr wechselhaft sein und werden unterschieden in

– atopisches Ekzem (in Deutschland auch Neurodermitis oder atopische Dermatitis genannt). Dieses kommt
familiär gehäuft vor, wird von Umweltfaktoren getriggert, betrifft etwa 10–20 % der Kinder und etwa
2–5 % der Erwachsenen und ist im Vulvabereich eher selten.

– seborrhoische Dermatitis (seborrhoisches Ekzem). Diese ist mit 5–10 % Vorkommen häufig, kommtim Alter um 40 Jahre und häufiger bei Männern vor. Gesicht, Submammär- und Nabelregion, Gesäß und Genitalregion können betroffen sein. Die Anwesenheit von Malassezia furfur ist dabei im Bereich der Haarfollikel involviert. Typisch sind Fissuren im Perianal- und Vulvabereich (Abb. 1). Die Diagnose wird in der gynäkologischen Praxis fast nie gestellt und oft als Pilzinfektion usw. missinterpretiert (6).

L. simplex entsteht sekundär als Folge von chronischen Reizen, z. B. psychosomatisch induziertem neuropathischem Juckreiz bei Vulvodynie. Typisch ist auch das Auftreten bei Atopie, bei psychischem Stress, Depression oder Angststörung. Dabei entsteht ein Juckreiz-Kratz-Teufelskreis, oft nachts, mit Triggerung durch Wärme, Schwitzen, Reiben usw. Lichen simplex kann auch sekundär/ zusätzlich bei juckenden Erkrankungen wie L. sclerosus oder chronisch rezidivierender Vulvovaginalkandidose, Unverträglichkeiten und Kontaktallergien, aber auch als Folge von z. B. Waschzwang auftreten (Abb. 2 und 3).

Symptomatik

Juckreiz und Brennen mit dem Bedürfnis zu kratzen bestimmen die Symptomatik. Typisch ist, dass die Nachtruhe stark gestört wird (während Frauen mit Juckreiz/Brennen bei Vulvodynie im Schlaf oft Ruhe davon finden). Selbst die berufliche Arbeit kann durch die Symptomatik erheblich beeinträchtigt werden

Klinisches Bild, Diagnostik

Eine sorgfältige Anamnese ist essenziell (Psyche, Allergien, Wasch- und Pflege Produkte, genitale Infektionen usw.).
Oft liegen psychosoziale Stressfaktoren vor, die im Sinne von Vulvodynie zu starkem Jucken und Brennen und dann sekundär zum L. simplex chronicus führen (Abb. 4). Meist sind die großen Labien, oft auch die Perianalregion betroffen. Das klinische Bild variiert. Es können leicht gerötete, aber auch hyperpigmentierte Plaques mit Lichenifikation zu sehen sein (Abb. 5, 6 und 7). Typisch ist ein vergröbertes Hautrelief mit leicht prominenten Hautfeldern (2, 6). Durch Kratzen können oberflächliche Läsionen und auch feine Nodula vorkommen. Im Zweifel wird die Diagnose histologisch durch eine Stanzbiopsie gestellt. Es werden dann im Stratum corneum Schuppung und Krusten, eine spongiotische Dermatitis, eine epidermale Hyperplasie, eine lymphozytäre Inflammation und oberflächliche perivaskuläre Infiltrate von Lymphozyten und Plasmazellen beschrieben. Differenzialdiagnostisch kommen Vulvakandidose, Psoriasis, Kontaktdermatitis oder ein früher Lichen sclerosus in Betracht. Die differenzialdiagnostischen Unterschiede von Lichen sclerosus, Lichen planus und Lichen simplex chronicus werden in Tabelle 1 (auf Seite 106) gegenübergestellt.

Therapie

Bei der Therapie des Lichen simplex chronicus müssen die psychischen/psychosomatischen Hintergründe therapiert werden (Ursachenbekämpfung)! Eine zugrunde liegende primäre Vulvaerkrankung (z. B. atopische Dermatitis, L. sclerosus) muss erkannt und behandelt werden.
Zur Therapie werden Clobetasol- oder Mometason-Salbe für mehrere Wochen (je nach Fall mindestens vier, eventuell bis zwölf Wochen) empfohlen. Bei Störung des Schlafs durch Juckreiz können sedierende Antihistaminika oder Amitriptylin helfen (8). Rezidive oder Persistenz sind allerdings häufig, da einerseits Ärzte und Patientinnen oft nicht konsequent und lange genug therapieren, auch aus der unbegründeten Sorge vor Hautschäden durch „zu viel Cortison“, und andererseits die Hintergründe für die Erkrankung persistieren können (2, 6). Zwei- oder mehrmals täglich Fettsalbe (ohne Vaseline, siehe unten) ist als Basispflege und Prophylaxe langfristig sinnvoll.

Fettsalben

Es gibt zahlreiche Aktivitäten in den verschiedenen Medien und Foren, besonders von Frauen mit Lichen sclerosus, bei denen Meinungen über Fettsalben, Öle und sonstige Pflegemittel ausgetauscht werden und somit schnell „virale“ Verbreitung finden, ohne dass Studiendaten vorliegen (4).
Jedenfalls wird in den Leitlinien und Empfehlungen als wichtige Begleitmaßnahme eine Hautpflege mit Fetten empfohlen, die möglichst auch eine Barrierefunktion zum Schutz der Haut im Vulvoanalbereich bieten (8). Studien im gynäkologischen Bereich dazu sind sehr rar.
In Paris wurde bei Frauen mit verschiedenen vulvären Dermatosen, darunter 26 mit L. sclerosus unter einer Erhaltungstherapie mit meist Clobetasol, zusätzlich eine aus Vaseline und Paraffinöl bestehende Salbe über im Mittel 66 Tage zusätzlich angewendet.
Es erfolgten zu Beginn (T1) und mindestens 30 Tage danach (T2) standardisierte Bewertungen durch die Patientinnen mit einem Symptomen-Score und einem dermatologischen Quality-of-Life-Fragebogen sowie durch Ärzte mit einem klinischen Symptomen Score in einer visuellen Analogskala. Die Daten von T1 und T2 wurden statistisch verglichen. Bei den Frauen mit L. sclerosus waren alle Parameter statistisch signifikant gegenüber der Zeit vor zusätzlicher Anwendung von Fettsalbe verbessert (1)! Mineralische Paraffine wurden in einer Studie an 144 Frauen in deren Bauchfettgewebe (bei einer Sectio caesarea entnommen) und signifikant korrelierend in deren Muttermilch nachgewiesen. Die Konzentrationen im Fettgewebe lagen meist um 80–100 mg/kg Körpergewicht und korrelierten signifikant mit dem Alter, dem Body-MassIndex, der Abstammung (türkisch-österreichisch) sowie der Verwendung  von Hand- und Sonnencremes während der Schwangerschaft. Es findet also bei eventuell lebenslanger Verwendung von Paraffin-haltigen Fettsalben eine Kumulation im Fettgewebe statt (3). Andererseits werden gereinigte und zertifizierte Paraffine seit Jahrzehnten in Hautpflegeprodukten eingesetzt und gelten als sehr sicher und nicht allergen (7). Vaseline enthaltende Fettsalben sollen nach der aktuellen Leitlinie zum Vorgehen bei Vulvadermatosen (8) allerdings nicht bei Lichen simplex chronicus verwendet werden, weil sie als zu fett und okklusiv angesehen werden.

Fazit für die Praxis

Lichen sclerosus betrifft gynäkologisch die Vulva und Perianalregion bei mindestens 1–2 % der Frauen und muss lebenslang behandelt werden.
Lichen planus (erosivus) ist seltener und betrifft eventuell auch Vestibulum und Vagina. Beides sind Autoimmunerkrankungen. Das Risiko für ein Vulvakarzinom liegt – falls leitliniengerecht mit stark wirksamen Kortikoiden behandelt wird – bei Lichen sclerosus um nur 1 % (falls nicht leitliniengerecht behandelt wird, bei  etwa 4 %), bei Lichen planus aber um 5 % (9).

Lichen simplex chronicus ist eine ekzematoide juckende Erkrankung als Folge chronischer Reize oder psychischen Stresses. Die Diagnose erfolgt mit Anamnese, Klinik und ggf. Stanzbiopsie. Primäre Therapie ist bei allen diesen Erkrankungen vorzugsweise Clobetasol-Salbe als Stoßtherapie über drei Monate und täglich Fettsalbe, gefolgt bei Lichen sclerosus von einer lebenslangen individualisierten Erhaltungstherapie. Bei genitalem Lichen planus muss, falls die lokale Behandlung versagt, ggf. durch damit Erfahrene mit oralen Immunsuppressiva behandelt werden. Calcineurin Inhibitoren sind Mittel zweiter Wahl. Zugelassen sind sie für die Neurodermitis. Wegen der hohen Rezidivgefahr des Lichen simplex chronicus ist eine eventuell lebenslange Prophylaxe zumindest mit Fettsalbe sinnvoll.

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Lichen planus der Vulva