Werner Mendling
Deutsches Zentrum für Infektionen in Gynäkologie und Geburtshilfe an der Landesfrauenklinik, Helios
Universitätsklinikum Wuppertal, Universität Witten/Herdecke, Wuppertal, Deutschland
In diesem Beitrag
Zusammenfassung
Hintergrund: Vulvodynie tritt bei mindestens 10 % der Frauen weltweit auf, wird aber meist erst nach Jahren richtig erkannt. Die betroffenen Fauen sind psychisch, körperlich und sexuell schwer beeinträchtigt.
Diagnostik: Kriterien sind nach Ausschluss von Infektionen, neurologischen, dermatologischen oder neoplastischen Erkrankungen Schmerzen und Brennen über mindestens 3 Monate spontan oder bei Berührung/Penetration im Bereich der gesamten Vulva und Analregion oder lokalisiert an Klitorisspitze, Vestibulum usw. Für Anamnese und Diagnostik werden Ruhe, Zeit und Verständnis benötigt.
Bakteriologische Abstriche und Probeexzisionen sind nicht erforderlich (können aber bei z. B. Nachweis pathologischer Neuroproliferation oder Mastzellzahlen Therapiehinweise geben), wohl aber pH-Messung, Nativpräparat, ggf. Pilzkultur und der Q-Tip-Test zur Exploration der Schmerzzone.
Therapie: Therapeutisch kommen multimodale, interdisziplinäre Therapie (Physiotherapie, Schmerztherapie, Verhaltenstherapie), bei Versagen stationäre psychosomatische Behandlung und in gut definierter Indikationsstellung als letzte
Maßnahme die Vestibulektomie infrage.
Einleitung
Ein typischer Dialog in der Praxis:
„Guten Tag, Frau X, warum kommen Sie zu mir?“
„Seit 2 Jahren habe ich ständig Blasenentzündungen und Pilzinfektionen. Ich kriege die Pilze nicht weg, obwohl ich dauernd Medikamente dagegen bekomme!“
„Was Sie schildern, sind Diagnosen. Aber was haben Sie denn für Beschwerden?“
„Ich habe meist beim und nach dem Verkehr Brennen an der Blase und in der Scheide.“
Was stimmt hier nicht?
Ärztinnen/Ärzte und Patientin haben sich nicht verstanden.
1. Pilzinfektionen führen meist nicht zu Brennen, sondern zu Juckreiz! Pilze brennen nicht in der Scheide, sondern es juckt im Vestibulum.
2. Pilze führen nicht zu Brennen und Berührungsschmerz der Klitoris, des Sulcus interlabialis, des Damms und des Afters oder sogar manchmal der großen Labien. Was soll dann ein Vaginalzäpfchen erreichen, wenn die Beschwerden ganz woanders sind?
3. Jedes auf dem Markt übliche Antimykotikum führt innerhalb von etwa 3 Tagen zur Beschwerdefreiheit, wenn die Diagnose einer (akuten) Vulvovaginalkandidose durch Candida albicans stimmt!
4. Eine akute unkomplizierte Zystitis wird mit z. B. Fosfomycin schnell geheilt und bedarf keiner weiteren antibiotischen Therapien.
Was lief falsch?
1. Es wurden nicht die richtigen Fragen gestellt („Haben Sie Jucken oder Brennen, Schmerz, Stechen? Wo genau?“), und der Patientin wurde nicht richtig zugehört. Wenn es im Vestibulum brennt und die Klitorisspitze oder der Sulcus interlabialis beidseits schmerzt, ohne dass dort ein Ekzem vorliegt (eine Rötung ist keine Infektion, sondern eine Inflammation), hilft kein Vaginalzäpfchen gegen Pilze.
2. Es wurde nicht richtig mikroskopiert.
3. Es wurde Mittelstrahlurin abgegeben, ohne der Patientin eine kontaminationsfreie Technik zu erklären. So werde Antibiotika einem mikrobiologisch gesunden Urogenitaltrakt zugemutet.
Was ist Vulvodynie?
Vulvodynie wurde vor einigen Jahren klassifiziert (. Tab. 1) und findet auch in der S2k-Leitlinie zum chronischen Unterbauchschmerz der Frau [37] Erwähnung.

Es handelt sich um eine chronische, somatoforme Schmerzstörung als Folge eines komplexen Zusammenspiels von peripheren und zentralen Schmerzmechanismen mit erhöhter Muskelspannung und Dysfunktion im Beckenbereich (auch in der gesamten Muskulatur), häufig mit Angst, Neigung zu Katastrophisierung und Depression, nach Gewalterfahrung, Vernachlässigung und anderen negativen Erfahrungen in der Kindheit sowie affektiven und konfliktreichen interpersonellen Vorerfahrungen (. Abb. 1; [5, 31]). Auch traumatische Erfahrungen im späteren Lebensalter und v. a. wiederholte psychi-
sche und körperliche Traumatisierungen wie auch sexueller Missbrauch können hier ursächlich sein [5].
Die häufigste Form der Vulvodynie ist die sekundäre provozierte Vestibulodynie (PVD). Sie tritt eher im prämenopausalen Alter auf, während die sekundäre generalisierte Vulvodynie eher postmenopausal vorkommt [30, 39]. Die primäre Vestibulodynie ist seltener, hat aber eine schwierigere Prognose.
Kodierung
In der derzeitigen ICD-10 (International Classification of Diseases, Tenth Revision) kommt Vulvodynie nicht vor. Es können die Codes F52.6 (Nichtorganische Dyspareunie), F45.40 (Anhaltende somatoforme Schmerzstörung) oder F42.34 (Somatoforme autonome Funktionsstörung: Urogenitalsystem) verwendet werden. In der zukünftigen ICD-11 gibt es ab Code GA34 (Weiblicher Beckenschmerz in Zusammenhang mit Genitalorganen oder Menstruationszyklus) einige Codes für Vulvodynie.
Epidemiologie
Die Prävalenz von Vulvodynie wird in der Literatur meist zwischen 10 und 16 % angegeben[5, 16, 18, 40]. Hispanische Frauen haben ein etwa doppelt so hohes Risiko für Vulvodynie, afrikanische Frauen sind nur halb so oft wie weiße Frauen betroffen [5].
Im eigenen Zentrum in Wuppertal waren zwischen 2011 und 2016 von 457 Frauen mit Vulvo-/Vestibulodynie 50,8 % zwischen 18 und 30 Jahre alt, einige wenige unter 12 Jahre oder über 80 Jahre alt [39].
Etwa 60 % der Frauen mit chronischem Vulvaschmerz suchen ärztliche Hilfe auf, die Hälfte von ihnen bekommt aber nie die richtige Diagnose gestellt [5]. Die betroffenen Frauen haben meist eine Odyssee von Arztbesuchen über Jahre hinter sich, bis die richtige Diagnose gestellt wurde. Dadurch verschlechtert sich ihre Prognose.
Diese Erfahrungen führten in einer Befragung zu Gefühlen von Isolation, Panik, Depression, Angst, erniedrigtem Selbstwertgefühl, Hoffnungslosigkeit, Wut, Furcht und Demütigung mit negativer Rückkopplung auf ihre sexuellen und verwandtschaftlichen Beziehungen, ihre Arbeit und ihren Schlaf, was zur Steigerung ihrer Vulvodynieschmerzen beitrug, und es blieb Rat- und Hoffnungslosigkeit, weil Ärzte keine Therapie kannten [36].
Im deutschsprachigen Raum werden die Interessen dieser Frauen vom Verein Lichen sclerosus Deutschland e. V. – Untergruppe Vulvodynie (www.vulvodynie-deutschland.de) und vom Netzwerk Vulvodynie (Schweiz, Österreich, Deutschland) (www.vulvodynie.ch) vertreten.
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